Jugendliche mit Behinderung:
Teilhabe an Freizeit ermöglichen!
Studie zeigt Lebenswelten auf und gibt Empfehlungen für die Jugendarbeit
Ein Konzert oder einen Kurs besuchen, mit anderen im Jugendtreff abhängen – wenn es um die Teilhabe von Jugendlichen mit Behinderung geht, spielt auch die Freizeit und der Austausch mit Gleichaltrigen eine Rolle. Das 2021 in Kraft getretene Kinder- und Jugendstärkungsgesetz fordert, dass die Jugendarbeit diese Gruppe in ihrem Angebot stärker berücksichtigt. Wie das in Hessen aktuell gelingt und besser gelingen kann, hat nun ein Forschungsteam der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS) untersucht. Der Fokus im Projekt „Jugendliche mit Behinderung: Teilhabe an Freizeit ermöglichen!“ lag auf der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. „Die Ausgangsbedingungen der Offenen Jugendarbeit sind eigentlich gut, um Inklusion zu ermöglichen, aber es gibt viele strukturelle Barrieren im Alltag der Jugendlichen mit Behinderung, die den Zugang dazu erschweren“, so Studienleiterin Prof. Dr. Bettina Bretländer, Professorin für Behinderung und Inklusion an der Frankfurt UAS, zu den zentralen Studienergebnissen. Sie wurden am 7. Februar 2024 bei der Fachtagung „Inklusive Jugendarbeit: geht (nur) gemeinsam“ in Frankfurt am Main vorgestellt.
Finanziert wurde das Projekt vom Hessischen Ministerium für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales. Ministerin Heike Hofmann:
„Ich freue mich sehr, dass die Studie ‚Jugendliche mit Behinderungen: Teilhabe an Freizeit ermöglichen‘ nun wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Freizeitwünschen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in Hessen ermöglicht. Sie enthält zudem wichtige Informationen über bestehende Barrieren. Mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz wurde der Auftrag an die Jugendhilfe konkretisiert, Angebote der Jugendarbeit allen Kindern zugänglich zu machen – auch denen mit einer Beeinträchtigung. Dafür wird die Studie der Jugend- und Eingliederungshilfelandschaft sowie den öffentlichen und freien Trägern wichtige Impulse geben.“
Im Förderschulsystem abgehängt von jugendtypischen Aktivitäten
Für die Studie befragten die Forschenden Expert*innen im Freizeit-/Jugendarbeitsbereich sowie Jugendliche mit Behinderung und ihre Eltern an drei Orten in Hessen zu ihrer Lebenswelt und Teilhabebarrieren. Die Interviews aus dem Zeitraum Januar bis Oktober 2023 knüpften dabei an eine frühere Online-Umfrage der Frankfurt UAS mit dem Titel „Meine Freizeit – Meine Ideen“ an, die die Freizeit von Jugendlichen mit Behinderungen thematisierte. „Die Studienergebnisse konnten die bisherigen Erkenntnisse aus der früheren Untersuchung bestätigen, erweitern und Forschungslücken in Bezug auf die Lebenswelt von Jugendlichen mit Behinderung schließen“, so Marcel König, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt. Jugendliche mit Behinderung haben so die gleichen Freizeitwünsche wie Jugendliche ohne Behinderung, leiden oft aber an Einsamkeit und dem Mangel an Freundschaften. Eltern nehmen laut der Studie im Leben der Jugendlichen oft eine zentrale Rolle ein, um ihre Teilhabe zu ermöglichen. Obwohl der Wunsch von den befragten Eltern da ist, dass sich die Kinder selbständig machen, erschweren fehlende inklusive Angebote und die Notwendigkeit der Begleitung eine elternfreie Jugend. „Insbesondere Jugendliche mit Behinderung im Förderschulsystem werden von jugendtypischen Aktivitäten abgehängt, durch die sie Kontakt mit anderen Jugendlichen ohne Behinderung erhalten”, so Studienleiterin Bretländer.
Großer Organisationsaufwand für Besuch im Jugendzentrum
Die Offene Kinder- und Jugendarbeit biete ihnen durch ihr Angebot zwar jetzt schon die Möglichkeit, jugendtypische Themen zu bewältigen, allerdings ist der Zugang zum Jugendzentrum für Jugendliche mit Assistenzbedarf voraussetzungsvoller. Das spontane Aufsuchen und wieder Verlassen des Jugendzentrums, wie es für Jugendliche ohne Behinderung ohne großen Aufwand möglich ist, ist für Jugendliche mit Behinderung unter Umständen nicht realisierbar. Sie müssen vorab viel Organisationsarbeit leisten. Fahrdienste müssen bestellt und mögliche Barrieren vorher geprüft werden. Ebenso müssen gegebenenfalls Freizeitassistenzen beantragt werden, da ein Besuch in vielen Fällen nur mit ihrer Begleitung möglich ist. Hier zeigt sich auch eine typische strukturelle Benachteiligung von Jugendlichen mit Behinderungen, die vor allem durch Ambivalenzen gekennzeichnet ist: Die Assistenz ermöglicht einerseits den Zugang, andererseits erschwert sie die erwachsenenfreie Aneignung jugendtypischer Räume. „Teilhabe gelingt in unserer Studie deswegen besonders dann, wenn die Jugendarbeit zum einen mit der Eingliederungshilfe kooperiert und zum anderen auch sozialraumorientiert zum Beispiel mit der Schulsozialarbeit zusammenarbeitet“, so Bretländer.
Um zu verstehen, wie die inklusive Jugendarbeit konkret gestaltet werden könnte, sehen die Forschenden aber weiteren Forschungsbedarf.